
Feministischer Stadtrundgang zum Tag gegen Gewalt an Frauen
25.11.2023Female Empowerment: Wir erobern uns die Stadt zurück!
Der diesjährige internationale Tag gegen Gewalt an Frauen fand am 25. November unter dem Motto Wir erobern uns die Stadt zurück statt. Unter diesem Dach führten wir
- eine Umfrage,
- einen Infostand,
- eine Markieraktion der Orte an denen in Schwäbisch Gmünd in den letzten Jahren Übergriffe stattgefunden haben,
- eine Werbetour durch die Dörfer und
- am 25.11. selbst einen feministischen Stadtrundgang durch.
Umfrage:
Sexismus und Gewalt an Frauen ist weltweit verbreitet, alltäglich und begegnet uns in allen Lebensbereichen. Darunter zu verstehen ist psychische, körperliche wie sexualisierte Gewalt. Sie fängt an bei Alltagssexismus, macht auch vor dem Kulturbetrieb nicht Halt (siehe Rammstein), ist bei öffentlichen Veranstaltungen zu beobachten (WM-Finale in Spanien) und endet im Femizid. Gewalt findet oft im häuslichen Umfeld, im „Privaten“, statt. Aber auch im öffentlichen Raum sind Frauen nicht sicher vor sexistischen Sprüchen, Belästigung und Übergriffen. Um die Erfahrungen der Frauen aus Schwäbisch Gmünd und Umgebung erfassen und sichtbar machen zu können, führten wir im Vorfeld des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen eine Umfrage durch. Die Befragung umfasste die Fragen „Wo fängt für dich Gewalt, Diskriminierung, Sexismus und Grenzüberschreitung an?“ und „Wie erlebst du das? In welcher Situation?“. Die Befragung konnte sowohl online als auch handschriftlich auf Postkarten ausgefüllt werden. Hierfür wurde ein Infostand am Wochenmarkt in Schwäbisch Gmünd bereitgestellt, an dem Frauen an der Befragung teilnehmen konnten. Die Befragung wurde anonymisiert ausgewertet. Zum Tag der Auswertung am 15. November 2023 haben 56 Frauen an der Befragung teilgenommen. Bis zum Ende der Aktion nahmen insgesamt 75 Frauen aus Schwäbisch Gmünd und Umgebung daran teil. Für die Auswertung der ersten Frage wurden beispielhafte Zitate herausgenommen die im Folgenden dargestellt werden:
FRAGE 1: WO FÄNGT FÜR DICH GEWALT, DISKRIMINIERUNG, SEXISMUS UND GRENZÜBERSCHREITUNG AN?
„Dann, wenn eine Person aufgrund des Geschlechts benachteiligt wird. Das Patriarchat ist tief verwurzelt, viele Strukturen haben sich verfestigt und sind daher nicht mehr sichtbar. Versuche, sie sichtbar zu machen (z.b.Sprachdebatte, Gendern), werden abgebügelt und lächerlich gemacht. Es geht nicht nur um körperliche Gewalt, sondern auch um psychische, besonders perfide ist die strukturelle oder systemische Gewalt, die sichtbar gemacht werden muss!“
„Wenn der Schmerz einer flinta* Person nicht ernst genommen wird (nur wehleidig). Wenn man weniger Anerkennung für den gleichen Vorschlag/Idee bekommt als der männliche Kollege. Wenn der mental load nicht gesehen und anerkannt wird. Wenn männliche Aggression nicht als emotionales Verhalten gesehen wird sondern als Stärke.“
„Gewalt und Grenzüberschreitungen beginnen für mich bei jeder Handlung die gegen meinen Willen an mir vollzogen werden. Sexismus u. Diskriminierung ist für mich, wenn ich aufgrund meiner Merkmale (Geschelcht, Hautfarbe, etc.) Benachteiligt werde oder beleidigt werde.“
„Im Alltag. In Gesprächen überall. Ich wurde bereits gestalked, mehrere Jahre am Stück sexuell belästigt, von jemand anderen sexuell Missbraucht. Auf der Arbeit betatscht. Ungewollt unter Drogen gesetzt. Und ich kenne kaum eine Frau der nichts passiert ist.“
„Gewalt: bei Drohung von körperlicher Gewalt oder psychischer Erpressung Diskriminierung: wenn jemand meine Rechte und Kompetenzen abspricht Sexismus: wenn jemand denkt ich bin weniger wert weil ich ne Frau bin und man alles mit mir machen kann, oder dass ich dumm bin weil ich ne Frau bin, mich nicht menschlich behandelt Grenzüberschreitung: wenn Leute mich einfach anfassen egal wo, sei es nur die hand oder Schulter oder wenn Leute denken die wissen besser was für mich gut ist so kümmer dich um deinen eigenen Scheis wenn ich ned gefragt hab“
„Ungewollte Berührungen, Witze oder Aussagen die sichtlich für das gegenüber verletzend sind, unangebrachte und sexistische Äußerungen (cat calling)“
FRAGE 2: WIE ERLEBST DU DAS? IN WELCHER SITUATION?
Für die Auswertung der zweiten Frage wurden Kategorien gebildet. Dabei kam heraus:
- 45% der Befragten Frauen in Schwäbisch Gmünd erleben Übergriffe/Diskriminierungim öffentlichen Raum (Bsp.: Straße, Kneipe, Freibad);
- 43% der Befragten Frauen in Schwäbisch Gmünd erleben Übergriffe/Diskriminierung in Arbeit und/oder Schule;
- 27% der Befragten Frauen in Schwäbisch Gmünd erleben Übergriffe/Diskriminierung in Sprache/Kommunikation (Bsp.: Nicht Gendern, Missachtung in Gesprächen, anzügliche Kommentare);
- 22% der Befragten Frauen in Schwäbisch Gmünd erleben Übergriffe/Diskriminierung bei Hobbys oder im privaten Umfeld (Bsp.: Vorfälle beim Tanzen, im familiären Umfeld oder unter Freunden);
- 11% der Befragten Frauen in Schwäbisch Gmünd erleben Übergriffe/Diskriminierung Überall;
- 6% der Befragten Frauen in Schwäbisch Gmünd erleben körperliche Übergriffe (Bsp.: Ungewolltes Anfassen, zu Nahe kommen);
- 6% der Befragten Frauen in Schwäbisch Gmünd erleben Übergriffe/Diskriminierung in den Medien (Bsp.: Sexuelle Videos im Netz).
Nur 2 der 56 Frauen gaben an keine eigenen Erfahrungen mit Übergriffen oder Diskriminierung zu haben.
Die erfassten Erfahrungen der Frauen aus Schwäbisch Gmünd zeigen: Patriarchale Gewalt ist Alltag. Dennoch bleibt sie oft unsichtbar und die Frauen allein mit ihrem Erleben. Diese Isolation aufzulösen und durch Zusammenschluss und solidarische Netzwerke von unten eine gemeinsame Kraft zur Veränderung der gesellschaftlichen Ursachen der Gewalt zu entwickeln – ist das erklärte Ziel der Fraueninitiative Schwäbisch Gmünd.
Heraus zum feministischen Stadtrundgang!
Um die oft unsichtbaren, jedoch alltäglichen Erfahrungen von patriarchaler Gewalt gegen Frauen sichtbar zu machen, haben wir am 25.11. einen feministischen Stadtrundgang organisiert. Bereits im Vorfeld dazu wurden sowohl in der Innenstadt, und erstmals auch in den Teilorten (in Straßdorf, Waldstetten, Bargau, Buch, Heubach, Bettringen, Herlikofen, Hussenhofen) Plakate aufgehängt – also ganz im Sinne von Wir erobern uns die Stadt zurück. Auch Sticker wurden entworfen und zeugen im öffentlichen Raum von der Präsenz der Fraueninitiative in den Farben der Kampagne oder weisen mit Appellen wie No more Catcalls auf Belästigung im öffentlichen Raum hin. Außerdem wurden an 13 Orten, an denen in Schwäbisch Gmünd tätliche Übergriffe stattgefunden hatten, mit laminierten Plakaten darauf aufmerksam gemacht.
Am Tag selbst fanden sich dann um die 50 Menschen bei nasskaltem Novemberwetter zum feministischen Stadtrundgang ein. An insgesamt sieben Stationen machte der Stadtrundgang Halt und informierte über die verschiedenen Formen der strukturellen Gewalt gegen Frauen. Im Folgenden werden die Inhalte der einzelnen Stationen in aller Kürze vorgestellt:
Station 1: Frauen die kämpfen, sind Frauen die leben!
Der Start unseres Rundgangs war an der Waldstetter Brücke – einem symbolisch gewählten Ort, denn im vergangenen Jahr Am Freitag, den 07.01.22 fand dort ein tätlicher Übergriff auf eine Frau statt. Eine junge Frau wurde überfallen, geschlagen, zu Boden gedrückt und versucht zu vergewaltigen. Glücklicherweise konnte sich die junge Frau wehren und den Täter in die Flucht schlagen. Eine Woche danach solidarisierten sich 150 Frauen und Männer aus Schwäbisch Gmünd mit einer Kundgebung in der Josefstraße mit der jungen Frau und eroberten sich die Josefstraße symbolisch zurück.
Station 2: Für eine gerechte Verteilung der Arbeits- und Lebenszeit! Für echte Entscheidungsfreiheit.
An der zweiten Station, dem Spielplatz an der Stadtvilla, wurde die ungerechte Verteilung der Carearbeit in der Gesellschaft thematisiert.
Station 3: Weg mit der Lohnungleichheit und der doppelten Ausbeutung der Frau!
An der Agentur für Arbeit in Schwäbisch Gmünd markierten wir symbolisch die wirtschaftliche Gewalt gegen Frauen. Die wirtschaftliche Gewalt ist die größte Gewalt die es in unserer Gesellschaft gibt und gleichzeitig die, über die am wenigsten gesprochen wird.
Station 4: „Son los pacos (policías), Los jueces, El estado. El estado opresor es un macho violador. El violador eras tú! // Es sind die Bullen (Polizei), die Richter, der Staat. Der Unterdrückungsstaat ist ein Macho, der Vergewaltiger bist du“ (Las Tesis).
An der vierten Station dem Amtsgericht in Schwäbisch Gmünd erschütterten hohe Dunkelziffern und im Vergleich dazu eine sehr kleine Zahl an erfolgreichen Anzeigen gegen Täter. Erst am 8. Oktober 2021 klagte dort eine Frau gegen ihren Ex-Mann. Der Mann hatte sich der Frau trotz Kontaktverbot genähert und mehrfach gedroht sie töten falls sie ihn verließe. Er bedrohte sie mit konkreten Gewaltphantasien: Er würde sie vom Rosenstein hinabstürzen, sie in einem Bach ertrinken lassen oder erschießen. Die Klage wurde wegen angeblich „nicht-schlüssiger Beweisführung“ abgewiesen. Diese Entscheidung des Amtsgerichts Schwäbisch Gmünd ist kein Einzelfall sondern muss im Gesamtkontext gesehen werden.
Station 5: „Nie wieder!“
Am Mahnmal der alten Synagoge wurde gemeinsam mit allen TeilnehmerInnen an die Geschichte der alten Synagoge, die Gräueltaten des Nationalsozialismus erinnert und dieser Schriftzug, der als Parole auf den „Schwur von Buchenwald“ zurückgeht, mit Kerzen entlang der am Boden angebrachten Buchstaben hell erleuchtet.
In Deutschland, Frankreich und Schweden und vielen anderen Ländern bilden rechte Parteien mittlerweile einen großen Teil der „Opposition“ bis hin zur Regierung. Dies ist eine Gefahr für uns alle. Bezogen auf die Situation von Frauen bedeutet die Wahl der rechten Regierungen das zurückdrehen von gesellschaftlichen Errungenschaften und erkämpfter Frauenrechte.
Der Antifaschismus gehört grundlegend zur feministischen Bewegung. Die Parole „Nie wieder!“ ist für uns Mahnung und Versprechen zugleich.
Station 6: Kein Mensch ist illegal! Fluchtursachen bekämpfen – nicht Geflüchtete!
An der sechsten Station, am Flüchtlingsboot aus Lampedusa, wurde über Migrationsgründe und die Situation geflüchteter und Frauen auf der Flucht berichtet. Von diesem Flüchtlingsboot wurden 40 Menschen aus Seenot gerettet. Das Boot wurde im Jahr 2019 als Mahnmal für die Menschlichkeit aufgestellt. Es soll außerdem auf die humanitäre Katastrophe an Europas Grenzen aufmerksam machen: Tausende Menschen verloren ihr Leben beim Versuch in Booten wie diesem übers Mittelmeer nach Europa zu kommen und nach wie vor begeben sich Menschen aus Verzweiflung und dem Wunsch nach einem besseren Leben auf diese gefährliche Flucht. Kriege, Krisen und enorm schlechte Lebensverhältnisse führen seit Jahren dazu, dass weltweit mehr und mehr Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und zu flüchten.
Station 7: „Und wir ermutigen euch alle, ebenfalls für eine Welt aufzustehen, in der es keine unsichtbaren Geschlechter mehr gibt!“
An der siebten und letzten Station des Stadtrundgangs ging es um das „unsichtbare Geschlecht“, d.h. die mangelnde Berücksichtigung der Frauen in Wissenschaft und Forschung.
Wie wir mit dem feministischen Stadtrundgang zeigen konnten ist die Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft vielfältig und findet in den verschiedensten Bereichen des Lebens statt. Umso vielfältiger und facettenreicher muss auch unser Kampf dagegen – für eine solidarische und befreite Perspektive, für ein gutes Lebens für alle Menschen, sein. Dabei können wir nicht darauf vertrauen dass dies andere (Parteien, Staat, Justiz, Wirtschaft etc.) für uns lösen werden, sondern wir müssen selbst aktiv werden, uns zusammenschließen, vernetzen, austauschen, uns und andere weiterbilden und zu einer gemeinsamen organisierten Kraft werden, die dazu in der Lage ist gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen und durchzusetzen. Hierfür brauchen wir alle.
„Wir wollen ebenso als vollwertiger Mensch auf allen Ebenen gesehen werden, wir wollen nicht nur gehört, sondern vor allem ernst genommen werden. Wir werden heute aktiv für Veränderung: für eine Welt, in der alle dieselben Rechte erhalten, in das Leben und die Stimme einer Frau genauso viel wert ist wie die eines Mannes. Und wir ermutigen euch alle, ebenfalls für eine Welt aufzustehen, in der es keine Gewalt, keine private und wirtschaftliche Ausbeutung, keine unsichtbaren Geschlechter, kein Faschismus und Kriege mehr gibt!“












Keine Stadt, kein Raum, keine Stimme der AfD:
Mehr als 300 Menschen kamen zur Kundgebung gegen Faschismus anlässlich der AfD Veranstaltung im Stadtgarten. V.a. wenn es darum geht, gegen Migrant*innen und Geflüchtete zu hetzen, inszeniert sich die AfD gerne als „Schützerin von Frauenrechten“. Doch „Alternative“ bedeutet Rückschritt: Lang erkämpfte feministische wie gesellschaftliche Errungenschaften hin zur Gleichberechtigung und zur Anerkennung vielfältiger Lebensentwürfe sollen zurückgedreht, patriarchale Strukturen gestärkt und weiße, männliche Privilegien gesichert werden. Darauf machten wir in unserem Redebeitrag zur Kundgebung aufmerksam. Gemeinsam setzten wir ein starkes
Zeichen gegen Rechts und für Solidarität!

