Hey Strobl, unser Tipp:
10.05.2022„Sicher. (nicht nur) Unterwegs.“ geht nur OHNE rückschrittliche Frauen- und Familienbilder, Rassismus und Überwachungsstaat!“
Am 18. Mai 2022 wird Thomas Strobl, amtierender CDU-Minister des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen des Landes Baden-Württemberg, im Rahmen einer Veranstaltung der Frauen Union sowie der Stadt Schwäbisch Gmünd im Kongresszentrum in Schwäbisch Gmünd einen Vortrag halten.
Mit der Veranstaltung wird Strobl auf die Maßnahmen der Landesregierung zum Thema „Sicherheit im öffentlichen Raum“ eingehen. Diese Maßnahmen umfassen unter anderem einen Ausbau der Überwachung der Bürgerschaft durch mehr Kameras im öffentlichem Raum, die Aufrüstung und mehr Befugnisse der Polizei sowie sogenannte „Fahndungs- und Sicherheitstage“ bei denen 24h lang Fahndungs- und Kontrollmaßnahmen gegen alle Bürger*innen in städtischen Räumen durchgeführt werden. Des Weiteren wurde das Thema Frauenrechte erneut für rassistische Debatten und Verschärfungen missbraucht: Entzug von Aufenthaltserlaubnissen, Erleichterungen bei der Ausweisung oder bei der Anordnung der Abschiebehaft.
Ein weiterer Aspekt ist das „Präventionsprogramm“ des LKA „Sicher. Unterwegs. – Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum“. Die Präventionsveranstaltungen der Polizei, für deren Flyer und Plakate die ehemalige Miss Germany herhalten musste, dienen hauptsächlich dem Zweck, Frauen Verhaltenstipps zu geben.
Die Top-Vorschläge des Programms: Meide dunkle Gassen, lass dich nicht von deinem Smartphone ablenken und höre auf dem Nachhauseweg keine Musik über Kopfhörer….
Merkt ihr selber oder?
Um mit einem besseren Gefühl nachts nach Hause zu kommen, wurde sogar eine App entwickelt, mit deren Hilfe sich Frauen für den Nachhauseweg vernetzen und zusammenschließen können. Um sich im Nachtleben vor Übergriffen schützen zu können, gibt es in manchen Bars Codewörter, mit denen sich Frauen an der Theke Hilfe holen können. Fast schon absurd sind Unterhosen, die vor einer Vergewaltigung schützen sollen, indem sie ein lautes Alarmsignal auslösen. Das alles soll Frauen helfen, die systematische Gewalt, die gegen sie gerichtet ist, abzuwehren.
In dieses Horn der Eigenverantwortlichkeit von Frauen bläst auch die CDU mit ihrer Veranstaltung.
Aber sieht für uns Frauen so die Lösung aus? Wollen wir auf diese Weise leben? Besser gefragt – bedeutet ein Leben mit all den schützenden, käuflichen Hilfsmitteln ein befreites Leben für Frauen? Für uns auf keinen Fall! Wir wollen uns keine Codewörter merken müssen und bestimmt keine speziellen Unterhosen mit Alarm tragen und wir wollen auch nicht jedes Wochenende unseren Weg nach Hause ausführlich planen müssen. Wir akzeptieren es nicht, diesen Zustand als Normalität hinzunehmen.
All diese Ideen und Produkte geben uns Frauen das Gefühl, dass es nur an uns liegt, ob uns unterwegs etwas zustößt oder nicht. Auf diese Weise wird die Schuldfrage sowie die komplette Verantwortung bei uns Frauen belassen. Sich abends mit anderen Frauen über das Smartphone zu vernetzen, um sicher nach Hause zu kommen, kann hilfreich sein. Doch eine endgültige Lösung ist das nicht. Es kann nicht sein, dass es allein in der Verantwortung der Frauen liegt, sich zu schützen, um nicht betroffen von sexualisierter Gewalt zu sein. Nicht vereinzelte, sogenannte „triebgesteuerte“ Männer sind schuld an tagtäglichen Übergriffen an Frauen – Gewalt gegen Frauen hat System. Der Status Quo dieser alltäglichen Gewalt muss hinterfragt und durchbrochen werden.
Die meisten gewalttätigen und sexuellen Übergriffe finden im „Privaten“ statt und werden damit für die Öffentlichkeit nicht sichtbar. Jede dritte Frau erfährt im Laufe ihres Lebens sexuelle oder physische Gewalt. 42 % der Frauen erlebten seit dem 16. Lebensjahr psychische Gewalt, 13 % sexualisierte Gewalt. Der Großteil der Übergriffe erfolgt NICHT im öffentlichen Raum sondern im häuslichen Umfeld, von Familienmitgliedern oder Partnern. Die Anzahl von Gewaltstraftaten an Frauen in Partnerschaften steigt seit 2013 in Deutschland stetig an. Im Jahr 2020 erfuhren demnach 119.164 Frauen Gewalt in der Partnerschaft. Statistisch gesehen geht die größte Gefahr für Frauen somit vom eigenen Partner aus – unabhängig von Klassenlage oder Herkunft.
Die Ursachen für Gewalt gegen Frauen
Unsere patriarchale Gesellschaft ist geprägt von Rollenbildern: Wie sich die verschiedenen Geschlechter zu verhalten haben, welche Rechte und vor allem welche Ansprüche sie stellen können. Diese Vorstellungen sind bis heute nicht überwunden und werden durch Erziehung, Medien, gesellschaftliche Strukturen und Politik weitergegeben. Eine dieser Vorstellungen ist, dass Männer in romantischen Beziehungen oder der Familie Besitzansprüche gegenüber der Freundin, Frau oder Verwandten hätten. Diese patriarchale Vorstellung kann so weit reichen, dass dem Mann die Frau wie ein Gegenstand gehören würde und er über sie verfügen und bestimmen könne – bis hin zu ihrem Leben an sich.
Mädchen und Frauen wird es abgesprochen rational denken sowie selbstständig Entscheidungen treffen zu können. Meist sollen sie nur hübsches Beiwerk sein und am besten still sein, nur nett lächeln und nicken, sexuell verfügbar sein und sich hauptsächlich um die Kinder und die Familie kümmern. Entsprechen sie diesen Vorstellungen nicht werden sie sanktioniert: Besitzansprüche, Eifersucht, männliche Dominanz und sexuelle Ansprüche des Mannes gegenüber der Frau sind neben Geldstreitigkeiten und Konflikten über Hausarbeit und Kinderbetreuung die Hauptauslöser von Gewalt an Frauen.
Befeuert und stetig wiederhergestellt werden diese Abhängigkeiten und patriarchalen Vorstellungen durch gesellschaftliche Regelungen und Gesetze, wie das Ehegattensplittung, die schlechtere Bezahlung von Frauen und fehlende kostenlose Kinderbetreuungsplätze.
Teil des Problems
Die CDU betreibt eine Politik gegen den Großteil der Arbeitnehmer*Innen und für die reichsten 5 %. Sie will nichts an Eigentums- und ungleichen Lohnverhältnissen verändern, die zu Existenzängsten, Abhängigkeiten und Machtgefällen führen und stützt mit ihrer Politik genau jene rückschrittlichen Frauen- und Familienbilder und finanziellen Abhängigkeiten, die der Nährboden für Gewalt gegen Frauen sind:
- Sie unterstützt mit der Aufrechterhaltung des Ehegattensplittings, Minijobs und befristeten Teilzeitarbeitsmodellen die finanzielle Abhängigkeit von Frauen – auch von gewalttätigen Partnern – und ihre Verdrängung an Heim und Herd. Die weitverbreitete weibliche Altersarmut ist eine direkte Folge davon.
- Sie blockiert maßgeblich die Forderungen nach kostenlosen Kinderbetreuungsplätzen. Erst 2019 lehnte gerade das Ressort von Innenminister Strobl ein Volksbegehren für die Abschaffung von Kita-Gebühren ab.
- Die CDU stärkt mit ihren Forderungen nach traditionellen Familienmodellen und Rollenverteilungen die ungleiche Verteilung der Sorgearbeit auf dem Rücken der Frauen. Danke für Selbstvorwürfe und Burn-Out an dieser Stelle …
- Die CDU stellt sich gegen emanzipatorische Entwicklungen und Gleichberechtigung. Auch die „Ehe für Alle“ wurde 2017 gegen den Willen der CDU/CSU durchgesetzt. Bis heute blockieren CDU-Politiker*Innen den Ausbau des Familien- und Sorgerechts für Paare die nicht heiraten wollen oder gleichgeschlechtlich sind.
- Sie streitet Frauen die Fähigkeit auf rationale Entscheidungen ab und stellt sich gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihren eigenen Körper, ihre Sexualität, Lebenssituation und Zukunft. Sie gefährdet das Recht von Frauen auf medizinische Grundversorgung in dem Sie an den Paragraphen 218 und 219a festhält.
Die Politik der CDU wird beim Thema „Gewalt gegen Frauen“ nicht nur nicht helfen sondern im Gegenteil: Die CDU trägt mit ihrer Frauen- und Familienpolitik zur Aufrechterhaltung unterdrückender Rollenbilder, finanzieller Abhängigkeit und zu einer Stabilisierung jener patriarchaler Strukturen bei, die die Ursachen für Gewalt gegen Frauen sind.
Raus aus dem Hamsterrad – Veränderung in die eigenen Hände nehmen!
Für uns ist deshalb klar, dass wir von einer Partei wie der CDU nichts zu erwarten haben.
Wir stellen uns gegen reaktionäre Politik und die Restauration des Patriarchats. Wir lassen es nicht zu, dass unter dem Deckmantel der Frauenrechte ein Ausbau des Sicherheits- und Überwachungsapparats angestrebt, rassistische Hetze betrieben und die Rechte unserer Mitmenschen ausgehöhlt werden. Wohin das führt, sehen wir mit racial profiling, verstärkter Kameraüberwachung in Innenstädten und einem Aufweichen von Datenschutz und Grundrechten. Anstatt Präventionsprogramme von der Polizei durchführen zu lassen, die sich übrigens intern erstmal mit Sexismus, Rassismus und rechten Netzwerken befassen sollte, gibt es selbst in diesem Bereich kurzfristige Forderungen und Handlungsempfehlungen, die deutlich sinnvoller sind als das, was die CDU zu bieten hat:
- Fortbildungen zu Gewalt gegen Frauen und Umgang mit Betroffenen für die Polizei durch unabhängige Fachstellen (Frauen wird bei Aussagen oftmals nicht geglaubt, ihre Erfahrungen in Frage gestellt)
- Recht auf audiovisuelle Befragungen (Schutz vor Retraumatisierungen)
- Recht auf Therapie
- Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung bei Gewalt gegen Frauen
- sichere Finanzierung von Frauenhäusern, Ausbau von Hilfs- und Beratungsangeboten
- finanzielle Sicherheit für Frauen, die sich von gewalttätigen Partnern trennen wollen
- Bildungsprogramme in Schulen von unabhängigen Frauen-Beratungsstrukturen und Fachstellen. Kern der Bildungsinhalte sollte eine kritische Auseinandersetzung mit traditionellen Rollenbildern, der ungleichen Verteilung der Sorgearbeit in der Gesellschaft und finanzielle und strukturelle Abhängigkeiten und Machverhältnisse als Auslöser von Gewalt an Frauen sein.
Diese realpolitische Liste, in Bezug auf das Thema Gewalt gegen Frauen, ließe sich sowohl leicht erweitern als auch – wenn sie politisch gewollt wäre – umsetzen. Klar muss aber sein, dass auch diese Maßnahmen auf lange Sicht nichts am Kern der Verhältnisse verändern werden.
Anstatt also auf ewig Symptombekämpfung zu betreiben und uns mit geschlossenen Augen und den Finger in den Ohren (oder in der Nase) um uns selbst im Kreis zu drehen würden wir vorschlagen das Hamsterrad endlich zu verlassen.
Ein nachhaltiger Stopp der Gewalt gegen Frauen kann nur durch die Beseitigung seiner Ursachen in den patriarchalen und kapitalistischen Unterdrückungsverhältnissen erreicht werden. Wenn wir also etwas verändern wollen müssen wir diese Veränderung selbst in die Hand nehmen. Diese Veränderung kann niemals von oben diktiert, sondern muss unten gemacht werden. Sie wird nur gemeinsam und leider nicht von heute auf morgen gehen – jedoch ist dies für uns sicherlich eine lohnenswertere Perspektive als Alarm-Unterhosen.
Eine Veränderung der Situation für Frauen und unserer Gesellschaft muss von uns selbst und von unten angetrieben werden.
Fraueninitiative Schwäbisch Gmünd
Mai 2022